Urteil: Gekaufter Gebrauchtwagen zur Fahndung ausgeschrieben – Rückabwicklung?

Der Kläger hat von der Beklagten einen gebrauchten Pkw erworben. Bei der Zulassung stellte sich heraus, dass das Kfz zur Fahndung ausgeschrieben war, weshalb die Polizei das Fahrzeug sicherstellte. Der Käufer verlangt die Rückabwicklung. Der Verkäufer beruft sich auf die Klausel: „Verkauf an Kfz Handel wie besichtigt ohne Garantie und Gewährleistung„.

Der Sachverhalt

Der Kauf erfolgte mit der Klausel: „Verkauf an Kfz Handel wie besichtigt ohne Garantie und Gewährleistung“. Der Beklagte trägt in seiner Berufung vor, dass der Haftungsausschluss sowohl Rechts- als auch Sachmängel umfasse. Er ist ferner der Ansicht, dass die Ausschreibung des Fahrzeugs im Schengener Informationssystem (SIS) keinen Mangel darstelle.

Das Urteil des OLG München (21 U 3016/15)

Das Fahrzeug war durch die auf einen Eintrag der italienischen Behörden zurückgehende Ausschreibung des Pkws zur Fahndung im Schengener Informationssystem SIS mit einem Rechtsmangel behaftet, der den Kläger zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt, (§§ 435, 437 Nr. 2, 440, 323 I, 346 I BGB), so das Oberlandesgericht München in seinem Urteil (Az. 21 U 3016/15).

Existenz des SIS-Eintrags genügt für die Annahme eines Rechtsmangels

Bereits die Existenz des SIS-Eintrags als solchem, d. h. ungeachtet der dem SIS-Eintrag zugrundeliegenden Umstände genügt für die Annahme eines Rechtsmangels (vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.02.2015, Az. I-22 U 159/14) weil der staatliche Eingriff einen den Gebrauch der Kaufsache nachhaltig und erheblich beeinträchtigenden Umstand darstellt. Die Gefahr eines dauernden Entzugs oder einer dauerhaften Beeinträchtigung der Nutzung der Kaufsache ist hingegen nicht erforderlich.

Maßgeblich ist hier, dass dem Kläger wegen des SIS-Eintrags, der sowohl im Zeitpunkt des Gefahrübergangs bzw. des Eigentumsübergangs als auch im Zeitpunkt der Sicherstellung und der Beschlagnahme und auch im Zeitpunkt des Rücktritts  fortdauerte, die Kaufvertraglich geschuldete Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs über mehr als ein Jahr nicht möglich war. Auf ein Verschulden der Beklagten kommt es nicht an.

Vertragsklausel umfasst keine Rechtsmängel

Ausschlussgründe, die dem Rücktritt des Klägers entgegenstehen könnten, liegen nicht vor (§§ 442, 444 BGB). Die zwischen den Parteien vereinbarte Klausel „Verkauf an Kfz-Handel wie besichtigt ohne Garantie und Gewährleistung“ wurde bereits vom Landgericht ohne Rechtsfehler dahingehend ausgelegt (§§ 133, 157 BGB), dass die Parteien damit nur Sachmängel ausgeschlossen haben.

Soweit die Beklagte vorträgt, dass nicht nur Sachmängel, sondern auch Rechtsmängel Gegenstand von Haftungsausschlüssen sein können, so trifft dies zu, ändert aber nichts an der Beweislast der Beklagten für den Umfang des Ausschlusses und dem Grundsatz, dass Zweifel zulasten des Verkäufers gehen (vgl. Palandt, 74. Auflage, Rdnr. 15 zu § 444 BGB). Dass von dem hier vereinbarten Haftungsausschluss auch Rechtsmängel umfasst sein sollen, lässt sich der Klausel konkret nicht entnehmen, vielmehr legt die Formulierung „wie besichtigt“ nahe, dass nur Sachmängel umfasst sein sollen.

Gericht:
Oberlandesgericht München, Urteil vom 02.05.2016 – 21 U 3016/15

OLG München
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Neuwagenkauf: Geringer Lackschaden bei Anlieferung – Darf man das Fahrzeug zurückweisen?

Der Beklagte bestellte bei der Klägerin ein Neufahrzeug. Bei der Auslieferung des Fahrzeugs am Wohnsitz des Beklagten, stellte dieser einen Lackschaden an der Fahrertür fest. Muss der Käufer grundsätzlich das Fahrzeug abnehmen und den Kaufpreis zahlen, bevor der Mangel beseitigt wird?

Der Sachverhalt

Im Lieferschein der Spedition ist insoweit vermerkt: „Kleine Delle Fahrertür, Kosten für Ausbesserung werden von… [der Klägerin]… übernommen.“ Noch am gleichen Tag erklärte der Beklagte, dass er das Fahrzeug „zurückweise“ und den Kaufpreis nicht freigebe. Die Klägerin machte geltend, es handele sich um einen „Bagatellschaden“.

Die Klägerin verlangte Überweisung des vollständigen Kaufpreises. Der Beklagte übersandte ihr daraufhin den Kostenvoranschlag eines Autolackierbetriebes, wonach Lackierkosten in Höhe von 528,30 € entstünden. Die Klägerin erklärte daraufhin, sie werde bei Vorlage des Originals der Reparaturrechnung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht maximal 300 € übernehmen.

Da die Parteien sich nicht einigten, holte die Klägerin das Fahrzeug beim Beklagten ab, ließ den Lackschaden beheben und lieferte das Fahrzeug wieder an den Beklagten aus, der daraufhin den gesamten Kaufpreis zahlte. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin Ersatz von Transportkosten für die Rückholung und Wiederauslieferung des Fahrzeugs, ferner „Standgeld“ sowie Verzugszinsen auf den Kaufpreis, insgesamt 1.138,64 €.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil (Az. VIII ZR 211/15) entschieden, dass der Käufer auch bei geringfügigen (behebbaren) Mängeln – wie dem hier vorliegenden Lackschaden – grundsätzlich weder den Kaufpreis zahlen noch das Fahrzeug abnehmen muss, bevor der Mangel beseitigt ist.

Nach § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB hat der Verkäufer dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen. Hieraus folgt das Recht des Käufers, vom Verkäufer die Beseitigung von Mängeln der Sache zu verlangen und bis dahin die Zahlung des (gesamten) Kaufpreises nach § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB und die Abnahme des Fahrzeugs nach § 273 Abs. 1 BGB zu verweigern. Diese Rechte stehen dem Käufer bei einem behebbaren Mangel auch dann zu, wenn er – wie der hier vorliegende Lackschaden – geringfügig ist.

Klägerin ist nicht ihrer Erfüllungspflicht als Verkäuferin nachgekommen

Zwar können der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts bei besonderen Umständen des Einzelfalls (ausnahmsweise) mit Rücksicht auf Treu und Glauben Schranken gesetzt sein. Derartige besondere Umstände lagen hier indes nicht vor. Im Gegenteil hatte die Klägerin dem Beklagten zunächst nicht einmal angeboten, selbst für eine ordnungsgemäße Behebung des Lackschadens zu sorgen und so ihrer Erfüllungspflicht als Verkäuferin nachzukommen. Sie hatte sich nämlich lediglich zu einer Übernahme der Reparaturkosten bereit erklärt. Es oblag jedoch nicht dem beklagten Käufer, einen Reparaturauftrag zu erteilen, sondern die Klägerin hatte die Reparatur im Rahmen der Erfüllung ihrer Verkäuferpflichten in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko zu veranlassen.

Unzureichende Bereitschaft zur Kostenübernahme

Zudem hat die Klägerin selbst an der (unzureichenden) Bereitschaft zur Übernahme der Kosten nicht uneingeschränkt festgehalten, sondern eine Obergrenze von 300 € gesetzt, so dass den Beklagten das Risiko der Werkstattkosten, einschließlich eines etwaigen unwirtschaftlichen oder unsachgemäßen Arbeitens des Werkstattbetriebes, getroffen hätte.

Bei den von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen (Transportkosten, „Standgeld“) handelte es sich im Übrigen um Kosten, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung des Kaufvertrages erforderlich waren und die deshalb ohnehin von ihr als Verkäuferin zu tragen waren.

Gericht:
Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.10.2016 – VIII ZR 211/15

BGH, PM 189/16
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Reichsbürger – Wenn man die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennt

Ein Reichsbürger brachte bei polizeilichen Verkehrskontrollen immer wieder unmissverständlich zum Ausdruck, dass er die Bundesrepublik Deutschland nicht anerkenne und sich auch nicht an die dortigen Regeln halten müsse. Nach einer nicht beigebrachten MPU wurde seine Fahrerlaubnis entzogen. Dagegen wehrt er sich vor einem staalichen Gericht.

Der Sachverhalt

Seit 1998 ist der Kläger immer wieder verkehrsrechtlich und sonst straf- oder Ordnungswidrigkeitsrechtlich in Erscheinung getreten. Nur einige wenige werden in diesem Beitrag wiedergegeben. In einem Verfahren wegen Beleidigung „beantragte“ der Kläger gegen den zuständigen Richter des Amtsgerichts Walbröl ein Disziplinarverfahren einzuleiten, weil dieser sich weigere, eine von ihm – dem Kläger – vorgefertigte Erklärung über die Legitimation als Richter zu unterschreiben.

Bundesrepublik und ihre Gesetze werden nicht anerkannt

Auf eine Anhörung der Stadt Hennef wegen einer Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr (Falschparken) erklärte der Kläger, die Bundesrepublik und ihre Gesetze nicht anzuerkennen, außerdem sei es dem „BRiD Dienstpersonal“ verboten, „Reichsbürger“ anzuschreiben.

Kläger: Polizeibeamte hätten ihm nichts zu sagen

Bei einer Kontrolle stellte die Polizei fest, dass der Kläger an zwei Pkw ungesiegelte Kennzeichen angebracht hatte. Der Kläger erklärte gegenüber Polizeibeamten, er erkenne keine deutschen Verfassungsorgane an und Polizeibeamte hätten ihm nichts zu sagen. Auf den Kennzeichen waren anstelle des Siegels jeweils ovale schwarz-weiß-rote Aufkleber angebracht, die mit „Deutsches Reich Selbstverwaltung“ beschriftet waren und auf denen der Reichsadler abgebildet war.

In einer anderen Kontrolle wurden am Fahrzeug erhebliche Mängel am Auspuff und an der Windschutzscheibe festgestellt. Auch war der Termin für die nächste Hauptuntersuchung überschritten. Hierauf von den Polizeibeamten angesprochen erklärte der Kläger, ihm seien die Mängel bekannt, er erkenne die Bundesrepublik Deutschland jedoch nicht an und müsse sich auch nicht an die dortigen Regeln halten.

Behörde fordert eine MPU

Dem Kläger wurde aufgegeben, ein medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten vorzulegen. Im Rahmen der Untersuchung sollte die Frage geklärt werden, ob zu erwarten ist, dass der Kläger aufgrund der bekannt gewordenen Auffälligkeiten sowie seiner Ablehnung gegenüber Staatsorganen bzw. Gesetzen auch gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen wird. Gerade der Straßenverkehr sei ein soziales Handlungsfeld, welches von den Beteiligten ständige Vorsicht, gegenseitige Rücksichtnahme und Beachtung der maßgeblichen Regeln erfordere. Der Umstand, dass der Kläger keine Autoritäten akzeptiere, begründe die Annahme, dass es auch künftig zu erheblichen Verstößen gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen kommen könne. Da der Kläger das Gutachten nicht beibrachte, wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen. Dagegen wehrt sich der Kläger.

Die Entscheidung des Verwaltungsgericht Köln

Die Kammer des Verwaltungsgericht Köln (Az. 23 K 2122/16) lässt offen, ob die Klage zulässig ist. Jedenfalls weist sie darauf hin, dass Zweifel am Rechtsschutzbedürfnis bestehen. Nach dem Inhalt des Verwaltungsvorgangs verneint der Kläger die Existenz der Bundesrepublik Deutschland. Hieraus folgt er zudem, dass die Handlungen der staatlichen Organe für ihn keine Relevanz haben. Ausgehend hiervon mutet es zumindest seltsam an, dass der Kläger ein staatliches Gericht anruft. Unabhängig hiervon ist die Klage jedenfalls nicht begründet. Der Kläger wird nicht in seinen Rechten verletzt.

Der Kläger hat jeweils gegenüber den die Verstöße feststellenden Polizeibeamten oder gegenüber den sonst zuständigen Stellen klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland – und damit auch die verkehrsrechtlichen Vorschriften – für sich für nicht verbindlich hält. Dies entspricht offenkundig dem allgemeinen Verständnis des Klägers.

Denn auch bei allen sonstigen Vorkommnissen, die sich aus dem Verwaltungsvorgang des Beklagten ergeben, wird ersichtlich, dass der Kläger jegliche staatliche Autorität der Bundesrepublik Deutschland negiert und das geltende Recht als nicht verbindlich erachtet.

Vor diesem Hintergrund ist die Annahme des Beklagten, aus den festgestellten Verstößen sei die Gefahr abzuleiten, dass der Kläger sich zulasten der übrigen Verkehrsteilnehmer auch in Zukunft nicht an verkehrsrechtliche Bestimmungen halten könnte, insgesamt berechtigt. Im Übrigen wird dies – ohne dass es hierauf noch ankäme – durch das Verhalten des Klägers nach der Entziehung der Fahrerlaubnis bestätigt, indem der Kläger gegenüber dem Beklagten angekündigt hat, trotz der Entziehung weiterhin Kraftfahrzeuge zu führen.

Gericht:
Verwaltungsgericht Köln, Gerichtsbescheid vom 30.06.2016 – 23 K 2122/16

VG Köln
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BGH zum strafrechtlichen Begriff des Überholens

ach § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB wird bestraft, wer im Straßenverkehr grob verkehrswidrig und rücksichtslos falsch überholt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet. Was ist aber Überholen im Sinne der Straßenverkehrsordnung?

Aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs

Überholen im Sinne der Straßenverkehrsordnung meint den tatsächlichen Vorgang des Vorbeifahrens von hinten an Fahrzeugen anderer Verkehrsteilnehmer, die sich auf derselben Fahrbahn in dieselbe Richtung bewegen oder verkehrsbedingt halten1. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift des § 315c Abs. 1 StGB, der auf den Schutz des Lebens, der Gesundheit und bedeutender Sachwerte vor im Gesetz näher bezeichneten, besonders gefährlichen Verhaltensweisen im Verkehr abzielt, ist die Reichweite des Tatbestands des § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB indes nicht auf Überholvorgänge im Sinne der Straßenverkehrsordnung beschränkt2. Ähnlich wie bei dem Verständnis der Vorfahrt in § 315c Abs. 1 Nr. 2a StGB3 ist der Begriff des Überholens in § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB vielmehr durch Auslegung des Regelungsgehalts der Strafrechtsnorm zu bestimmen.

Ausgehend von der Wortbedeutung und unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Sichbewegen auf derselben Fahrbahn kein taugliches Kriterium für eine abschließende Erfassung besonders gefährlicher Fälle des Vorbeifahrens liefert, wird das Tatbestandsmerkmal des Überholens auch durch ein Vorbeifahren von hinten an sich in derselben Richtung bewegenden oder verkehrsbedingt haltenden Fahrzeugen verwirklicht, das unter Benutzung von Flächen erfolgt, die nach den örtlichen Gegebenheiten zusammen mit der Fahrbahn einen einheitlichen Straßenraum bilden.

Danach ist ein Überholen beispielsweise gegeben bei einem Vorbeifahren über Seiten- oder Grünstreifen (vgl. BVerfG aaO), über Ein- oder Ausfädelspuren oder über lediglich durch Bordsteine oder einen befahrbaren Grünstreifen von der Fahrbahn abgesetzte Rad- oder Gehwege (vgl. OLG Hamm aaO). Dagegen fehlt es an einem Überholvorgang etwa bei einem Vorbeifahren unter Benutzung einer von der Fahrbahn baulich getrennten Anliegerstraße oder mittels Durchfahren einer Parkplatz– oder Tank- und Rastanlage auf der Bundesautobahn (vgl. König aaO Rn. 80).

Ebenso wenig wie das Überholen nach der Straßenverkehrsordnung einen Spurwechsel nach Abschluss des Überholvorgangs voraussetzt4, kommt es für den strafrechtlichen Begriff des Überholens nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB darauf an, dass die Fahrt nach dem Vorbeifahren an dem anderen Fahrzeug auf dessen Fahrbahn fortgesetzt wird. Wollte man für das Überholen begrifflich auf eine das Vorbeifahren abschließende Rückkehr auf die Fahrbahn abstellen, bliebe zudem die rechtliche Einordnung des tatsächlichen, eine bestimmte Absicht nicht erfordernden Vorgangs des Vorbeifahrens bis zu dessen Abschluss in der Schwebe.

Ob ein Überholen nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB nur vorliegt, wenn das Vorbeifahren auf der von dem anderen Fahrzeug benutzten Fahrbahn seinen Ausgang nimmt (vgl. König aaO Rn. 79 f.), braucht der Senat im vorliegenden Fall angesichts der vom Landgericht getroffenen Feststellungen, wonach der Angeklagte von der Straße auf den Gehweg fuhr, nicht zu entscheiden.

Gericht:
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.09.2016 – 4 StR 90/16

Quelle: BGH
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Betrunken aus dem Bordell und die vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr

Mit rund 2 Promille begab sich der Angeklagte in ein versteckt liegendes, als solches nicht beworbenes Bordell. Dementsprechend versteckt lag auch der Parkplatz. Nach einem Streit wegen der Zahlung, setzte er sich ins Auto und fuhr rund 8m auf dem Parkplatz. Das Amtsgericht sprach ihn wegen einer vorsätzlichen Trunkenheit im Verkehr schuldig.

Der Sachverhalt

Das als solches nicht beworbene Bordell befindet sich in einer versteckt liegenden Immobilie. Sein nicht mit Einlasshindernissen versehener Parkplatz ist nur über eine schmale Zufahrt zu erreichen. Zur Tatzeit war der Angeklagte alkoholbedingt fahruntüchtig mit einer Blutalkoholkonzentration von über zwei Promille.

Der Angeklagte legte mit seinem Fahrzeug auf dem Bordellparkplatz ca. 8 m zurück, nachdem eine Mitarbeiterin des Bordells, mit welcher der Angeklagte zuvor Ärger wegen der Höhe einer Rechnung bekommen hatte, vergeblich versucht hatte, ihm die Fahrzeugschlüssel abzunehmen. Der Angeklagte beabsichtigte, einen nahegelegenen, anderen Parkplatz aufzusuchen, um sich dort von einem Verwandten abholen zu lassen.

Geldstrafe und Fahrerlaubnisentzug

Das Amtsgericht sprach den Angeklagten auf Grund des vorstehenden Geschehens wegen einer vorsätzlichen Trunkenheit im Verkehr schuldig, verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 1.750 Euro und entzog ihm die Fahrerlaubnis mit einer Sperrfrist von sechs Monaten.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm

Die vom Angeklagten eingelegte Sprungrevision war vorläufig erfolgreich. Der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat das angefochtene Urteil mit den zu Grunde liegenden Feststellungen, soweit diese den tatörtlichen Parkplatz betreffen, aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere strafrichterliche Abteilung des Amtsgerichts Warendorf zurückverwiesen.

Die infrage stehende Strafvorschrift des § 316 Strafgesetzbuch verbiete, so der Senat, einem infolge Alkohols fahruntüchtigen Kraftfahrer mit einem Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr zu fahren. Zum öffentlichen Straßenverkehr könne neben dem öffentlichen Verkehrsraum mit seinen Straßen, Plätzen, Brücken und Fußwegen auch ein Parkplatz auf einem Privatgrundstück gehören. Das sei dann der Fall, wenn der Parkplatz entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen sei und so auch tatsächlich genutzt werde.

Im vorliegenden Fall fehlten ausreichende Feststellungen des Amtsgerichts dazu, ob der Bordellparkplatz als im vorstehenden Sinne öffentlicher Verkehrsraum anzusehen sei. Befinde sich das Bordell in einer versteckt liegenden, nicht als Bordell beworbenen Immobilie, bei der Parkplatz nur über eine schmale Zufahrt zu erreichen sei, sei bereits fraglich, ob der Platz einem größeren Personenkreis überhaupt als Parkplatz bekannt gewesen sei. Es könne auch gut sein, dass der so angelegte Parkplatz tatsächlich nur wenigen „Eingeweihten“ wie z.B. dem Personal und/oder Stammkunden offen gestanden habe. Es bedürfe daher weiterer Feststellungen dazu, ob der Tatort zum öffentlichen Verkehrsraum gehöre.

Gericht:
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 15.09.2016 – 4 RVs 107/16

OLG Hamm
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Urteil Sicherheitsgurt – Muss ich mich bei jeder Fahrt anschnallen?

Ein Autofahrer parkte auf dem Parkplatz einer Gastronomie ab, die an einem Kreisverkehr lag. Dort kaufte er sich Essen und wollte anschließend die Apotheke aufsuchen, die direkt auf der anderen Seite des Kreisverkehrs lag. Er durchfuhr mit Schrittgeschwindigkeit den Kreisververkehr und hatte dabei keinen Gurt angelegt.

Der Sachverhalt

Der Autofahrer fuhr weiterhin in Schrittgeschwindigkeit, um unmittelbar nach dem Kreisverkehr 5-10 m rechtzeitig auf einen Parkstreifen zu fahren. Hierbei fiel er der Polizei auf. Der Autofahrer habe gegen §§ 21a Abs.1, 49 StVO, 24 StVG verstoßen. Der Fall landete vor Gericht.

Das Urteil des Amtsgerichts Lüdinghausen

Der Polizeibeamte, der als Zeuge vernommen wurde, bestätigte, dass der Betroffene aus dem Parkplatzbereich der Gastronomie gekommen sei und langsam, vielleicht auch in Schrittgeschwindigkeit den Kreisverkehr durchfahren habe.

Dementsprechend musste im Zweifel zu Gunsten des Betroffenen davon ausgegangen werden, dass der Betroffene zur Tatzeit mit Schrittgeschwindigkeit gefahren ist und dementsprechend den Ausnahmetatbestand des § 21 a Abs.1 Satz 2 Nr.3 StVO erfüllt hat.

Die Ausnahmetatbestände des § 21 a Abs.1 StVO

(1) Vorgeschriebene Sicherheitsgurte müssen während der Fahrt angelegt sein; dies gilt ebenfalls für vorgeschriebene Rollstuhl-Rückhaltesysteme und vorgeschriebene Rollstuhlnutzer-Rückhaltesysteme. Das gilt nicht für

  1. (weggefallen)
  2. Personen beim Haus-zu-Haus-Verkehr, wenn sie im jeweiligen Leistungs- oder Auslieferungsbezirk regelmäßig in kurzen Zeitabständen ihr Fahrzeug verlassen müssen,
  3. Fahrten mit Schrittgeschwindigkeit wie Rückwärtsfahren, Fahrten auf Parkplätzen,
  4. Fahrten in Kraftomnibussen, bei denen die Beförderung stehender Fahrgäste zugelassen ist,
  5. das Betriebspersonal in Kraftomnibussen und das Begleitpersonal von besonders betreuungsbedürftigen Personengruppen während der Dienstleistungen, die ein Verlassen des Sitzplatzes erfordern,
  6. Fahrgäste in Kraftomnibussen mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3,5 t beim kurzzeitigen Verlassen des Sitzplatzes.

Die Tatsache, dass der Betroffene sich zur Tatzeit im fließenden Verkehr befand und an der Tatörtlichkeit üblicherweise schneller als mit Schrittgeschwindigkeit gefahren wird, ist dabei ohne Belang. Dementsprechend durfte der Betroffene tatsächlich unangeschnallt fahren. Der Betroffene war somit aus rechtlichen Gründen freizusprechen.

Gericht:
Amtsgericht Lüdinghausen, Urteil vom 30.05.2016 – 19 OWi-89 Js 968/16-92/16

AG Lüdinghausen
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